Über den Wolken mit dem eigenem Pferd

– auf 2606 Meter ü. M. –

 

Ein unvergessliches Erlebnis, im August 2002 erfüllten wir uns einen Traum: Mit unseren Pferden in die Schweizer Berge über den Scalettapass (2606 m ü.M.) und den Albulapass (2315 m ü.M.) zu reiten. Mit der Planung und Vorbereitung begann ich bereits 8 Monate vorher.

 

 

Haflinger Max am Scalettapass (2606 m üM.)

 

Die Idee und Planung

 

Letzten Winter in Arosa, schon am ersten Tag, hatte ich mir mein linkes Knie so verdreht, dass ich für den Rest des Urlaubs nicht mehr Skifahren konnte. So habe ich dann den Urlaub mit Ausruhen, kurzen Spaziergängen und - dem Studium einer Wanderkarte von Graubünden verbracht.

Was mir auffiel: Arosa war im Kreis von anderen Tälern umgeben, die miteinander verbunden waren. Da kam mir die Idee: Da könnte man doch mal einen kleinen Rundritt machen. Zunächst war das nur eine "spinnerte Idee" oder Urlaubsträumerei.

 

Doch nach dem Urlaub lies mich der Gedanke nicht mehr los, und wie der Zufall es so will, lernte ich bei uns zu Hause eine gebürtige Schweizerin aus Davos kennen. Mit ihr unterhielt ich mich über diese Idee und bekam von ihr die Adresse eines bekannten Reiters aus Maienfeld (von dort stammt die Heidi!). Dies war der erste Schritt zu Realisierung des Abenteuers. Natürlich habe ich gleich in der Schweiz angerufen und mich mit dem Maienfelder Reitersmann über das Projekt unterhalten. Für ihn war die Idee gar nicht so "spinnert", sondern eine sehr schöne Tour. Er empfahl mir, mich wegen weiterer Tipps für Reiseroute und Unterkünfte mit Hans Lenz, einem Davoser Reitstallbesitzer, in Verbindung zu setzen.

 

Jetzt erzählte ich meinen Reitfreunden, mit denen ich schon öfters Wanderritte in Bayern unternommen hatte, von dem Plan und konnte Sabine Geyer mit Haflinger Seppi und ihrer Hündin Bobbie, Steffi Schlossmann mit Haflinger Leopold und Sepp Großmann, mit 78 Jahren der ältester Reiter, mit seiner Tinkastute begeistern mitzumachen. Sepp ist ein erfahrener Wanderreiter, er hatte vor 2 Jahren an der Alpenüberquerung von München nach Venedig mit Albert Knaus teilgenommen. Durch Sepp lernten wir Elke Kiunke mit ihrem Araber Ashley kennen, die sich spontan entschloss, sich unserer Gruppe anzuschließen. Elke nimmt häufig an Distanzritten teil. Natürlich wollten auch mein Haflinger Max und unser Mischlingsrüde Shaky mit. So waren wir jetzt ein 5er Reiterteam für die Eroberung der Graubündner Täler und Pässe. Solche Wanderritte werden bei uns nicht hierarchisch mit Rittführer und Mitreitern durchgeführt, sondern sind immer gemeinsame Unternehmungen, bei der letztendlich jeder für selbst verantwortlich ist. Mein lieber Mann erklärte sich bereit, uns mit dem Auto zu begleiten und die Pferde, mit allen was man so braucht, als Tross zu versorgen. Auch unser siebenjähriger Sohn wollte mit dabei sein.

 

Bei den ersten Planungen für die Route merkte ich bald, dass die Dreitälertour um Arosa herum für die geplanten 12 Reisetage zu kurz war. So überlegte ich mir einen „kleinen“ Abstecher in das Oberengadiner Tal. Von Herrn Lenz wurde mir von der Idee, den Flüelapass (2383 m) mit den Pferden zu überqueren, abgeraten. Viel interessanter sollte die Überquerung des Scalettapasses sein, insbesondere weil über ihn keine Strasse führt. Zunächst erschien mir diese Route recht kühn (Passhöhe 2606 m ü.M.), doch als ich hörte, dass er diesen Pass seit 25 Jahren regelmäßig einmal pro Jahr mit einer Gruppe von Pferden überritten hatte, wählte ich diesen Weg aus. Da die Passüberquerung für einen Tagesritt zu lang war, half uns Herr Lenz, eine Übernachtung unterwegs auf einer Hochalm, der Alm Funtauna im Val Susauna, zu organisieren. Hier wurde für uns eine große Ausnahme gemacht, da die Alm weder Wanderern noch Mountainbikern zur Übernachtung zur Verfügung steht. Sie wird in den Sommermonaten ausschließlich von Schafhirten genutzt. Nachdem der Hinweg ins oberengadiner Tal festlag, musste noch ein Rückweg gefunden werden. Hier erschien der Albulapass am geeignetesten, durch den zwar eine Strasse und die Rätische Bahn führen, aber das auf attraktive Weise (die Rätische Bahn überwindet in Serpentinen 416 m Höhenunterschied auf 6 km Länge mit zahlreichen Viadukten und Tunneln).

 

Auch für unsere restlichen Reitstationen bekamen wir von Herrn Lenz jeweils eine Adresse, bei der wir unsere Pferde unterbringen konnten. Die Suche nach Übernachtungsmöglichkeiten für die Reiter war im Internet relativ leicht. Was bei der ganzen Planung beruhigend war: Wir kannten jetzt bei jeder Reitstation einen lokalen Reiter der uns jeweils den Weg zum nächsten Ziel genau beschreiben konnte.

 

Nach einiger Zeit erkannte ich, dass eine Grenzüberquerung mit einem Pferd in ein nicht EU-Land schwieriger sein könnte als z.B. mit unserem Hund. Nach und nach wurde klar mit was für einem Aufwand an Formalitäten das verbunden ist. In letzten Abschnitt habe ich die wichtigsten Details erläutert. Doch wenn man sich das erst einmal in den Kopf gesetzt hat, überwindet man auch solche Hindernisse.

 

Der Ritt

 

Endlich war es soweit. Am 2.8.02 fuhren wir mit 3 Pkws und unseren Pferden im Anhänger in die Schweiz nach Maienfeld im Rheintal. Dort begann und endete unsere 12 Tagestour. Die Fahrt über die Grenze verlief dank guter Vorbereitung reibungslos.

3. August 2002: Maienfeld – Küblis 

9 Uhr Abritt in Maienfeld, super Wetter. Ein 6 Stunden-Ritt lag vor uns mit 25 km und 300 Höhenmeter. Der Weg führte durch die Weinberge von Maienfeld im Rheintal bis hin zur Schlucht von Chlus, die sehr eng ist und nur über eine Straße zu durchqueren war. Auf der anderen Seite kamen wir ins schöne Prättigau. Nach 2 Stunden gab es für die Pferde eine Fresspause auf einer Wiese abseits der Straße. Dort hatten wir unsere erste Begegnung mit einem Schweizer Bauern, der wie aus dem Nichts auftauchte und uns auf "Schwyzerdütsch" sein Missfallen ausdrückte. Zur Sicherheit zogen wir uns schnell zurück. Nach 3 Stunden Ritt war Mittagspause für die Reiter in einem Gasthaus in Schiers. Die Rösser "parkten wir ein", um der Anweisung auf einem Schild „Ordentlich vorwärts einparkieren“ zu folgen. Nach der Rast ging es drei weitere Stunden bis zum ersten Etappenziel, Küblis.

 

 

 

Sepp mit seiner Tinkastute in Küblis

 

 

 Dort erwartete uns eine große Überraschung: Im Stall gab es nur Ständer zum anbinden. Es war klar, dass hier normaler­weise keine Wanderreiter vorbeikommen. Die einheimischen Pferde verbringen den Sommer auf der Hochalm. Im Winter sind sie nach dem Schlittenkutschen-Ziehen so angestrengt, dass sie froh sind, in einem Ständer zu übernachten. Nach längerer Improvisation hatten wir unsere Rösser einigermaßen untergebracht, Max und Seppi im Wanderreitpadock draußen, Tinka und Ashley in einem Stall und Leopold alleine angebunden im anderen Stall. Vorsichtshalber gab ich der Besitzern meine Handynummer, für alle Fälle. In der Nacht gab’s dann ein höllisches Gebirgsgewitter, ein Donnerschlag holte mich nachts um 1 Uhr aus dem Bett. Gleich drauf klingelte auch schon mein Handy. Die Pferde waren ausgebrochen, Steffi und Elke eilten im strömenden Regen zum Stall. Ashley und Tinka hatten den Riegel der Stalltür geöffnet und grasten friedlich draußen bei Max und Seppi. Glück gehabt!

 

4. August 2002: Küblis - Davos 

Anstrengende 25 km Strecke mit 730 Höhenmetern lagen vor uns. Ich studierte die topo­graphische Karte, um den günstigsten Weg herauszufinden und der ging an dem Flüsschen Landquart entlang. Doch leider hatte ein Bauer, wie uns die Stallbesitzerin aus Küblis sagte, genau über diesem Weg hinweg sein Grundstück eingezäunt. Einzigste Alternative war über einen Berg zu reiten, doch dann wären zusätzliche 700 Höhenmeter, rauf und wieder runter, dazu gekommen. Fast unmöglich, das an einem Tag zu schaffen. Die freundliche Stall­besitzerin machte den Vorschlag, mit dem Jeep zu dem Grundstück zu fahren, um die Verhältnisse zu klären. Dort trafen wir zufällig den Bauer an. Nach einigem hin und her gab er uns die Erlaubnis, „ausnahmsweise einmal“ durchreiten zu dürfen. Wieder mal Glück gehabt! Um 9 Uhr starteten wir dann endlich in Richtung Davos immer der Landquart entlang auf wunderschönen Wiesenwegen. Was wäre uns entgangen, wäre nicht die nette Stallbesitzerin gewesen. Nach 4 Stunden kamen wir in Klosters an. Mittagspause direkt an der Bergstation der Gotschnabahn. Kraftfutter für die Pferde, Schweizer Rösti für uns. Nach einer Stunde führte uns der Weg, jetzt noch steiler, entlang der „Skipisten“ durch Tannenwälder, an Almen vorbei, nach Davos auf 1560 Höhenmeter. Von hier waren es nur noch 5 km bis nach Frauenkirch, unserer nächsten Station, doch die zogen sich hin und hin, denn wir mussten mit den Pferden durch ganz Davos. Nach 10 Stunden, inklusiv Pausen, kamen wir erschöpft an. Gott sei Dank, unsere Pferde kamen im Reitstall von Herrn Lenz in luxuriösen Boxen unter. Gegen Abend steigerte sich langsam unsere Aufregung, das Ziel des nächsten Tages war die Überquerung des Scalettapasses. Doch gegen Abend wurde das Wetter schlechter und es fing an zu Regen. Die Strecke über den Scalettapass sollte man nur bei schönem Wetter reiten. Herr Lenz hatte erzählt, dass er selbst vor einem Jahr dort oben auf dem Pass nach einem Kälteeinbruch mit den Pferden bis zum Bauch im Schnee versunken war. Ich sah uns schon mit dem Anhänger ins Oberengadin fahren. So gingen wir mit ungewissen Aussichten schlafen.

5. August 2002: Von Davos über den Scalettapass zur Alm Funtauna

6:30 Uhr, der Wecker klingelt, erster Blick aus dem Fenster, die Sonne scheint. Gegen 8 Uhr Abritt von Frauenkirch durchs Dischmatal entlang dem rauschenden Dischmagebirgsbachs in Richtung Scalettapass. Immer wieder durchritten wir eingezäunte Kuhweiden, bei denen man den Zaun öffnen uns schließen musste, um weiter zu kommen. Nach dreistündigem unmerklichem Anstieg erreichten wir die letzte bewirtschaftete Berghütte in Dürrboden auf 2007 m. Eine Stunde Pause für die Pferde und für uns die letzte Möglichkeit, etwas Warmes zu essen. Es gab Älpler Rösti!

Vor uns lag eine Bergkette mit schneebedeckten Dreitausendern zwischen denen sich der Scalettapass hochschlängelte. Von Dürrboden bis zur Passhöhe waren immerhin noch 600 m Höhe zu überwinden. Wir prüften ein letztes mal Pferde und Ausrüstung. Sabine schraubte dem Seppi schnell noch Stollen in die Eisen, die Pferde bekamen Gamaschen zum Schutz gegen Abschürfungen. Der ordentliche Sitz des Gepäcks wurde kontrolliert.

 

Aufbruch zum Scalettapass

 

 

Andrea und Sabine „kurz“ vor  der Passhöhe

 

Im gleichmäßigem, flottem Schritt kraxelten unsere Pferde den schmalen Säumerpfad hinauf, begleitet von den aufgeregten Pfiffen der Murmeltiere, die es hier in Mengen gab und die uns männchenmachend nachschauten. Wieder tauchte ein Weidezaun auf, der sich nicht öffnen lies. Sabine stieg auf einen Stein und hob den Draht so hoch an, dass einer nach dem anderen durchschlüpfen konnte, Sepp als letzter. Plötzlich erschrak seine Tinka und sprang mit einem Satz unter dem Zaun durch, doch reichte die Höhe nicht mehr für Sepp. Der Draht schnürte ihm den Hals zu, alles ging blitzschnell. Zum Glück riss der Draht an einer Stelle wo er mit einem Kunststoffband befestigt war. Wir alle waren wie erstarrt. Sepp kam mit dem Schrecken davon. Weiter ging’s. Nach 1¾ Stunden stetem Anstieg erreichtem wir die Passhöhe. Ein atemberaubendes Bergpanorama bot sich uns. Die Pferde schnaubten zufrieden, als wären sie selbst stolz auf ihre Leistung. Wir machten etliche Fotos von Pferden, Hund und Reitern.

 

 

Sepp, Elke und Steffi (vorn) auf der Passhöhe

 

 

 

Sabine und Leopold

 

 

 

Andrea mit Max am Scalettapass

 

Shaky der Gipfelstürmer

 

Unten auf der anderen Seite des Passes war schon die Alm Funtauna im Val Susauna zu sehen. Bis dorthin stand uns noch ein steiler Abstieg bevor, für den wir 50 Minuten benötigten. Der Pfad schlängelte sich in Serpentinen bis zur Alm. Geschafft, ein großes Lob für unsere Pferde. Sie hatten die steilsten Stücke ohne große Aufregung und mit hoher Konzentration überwunden.

 

 

Abstieg zur Alm Funtauna

 

 

 

 

Abstieg zur Alm Funtauna

 

 

Abstieg zur Alm Funtauna

 

Die Alm Funtauna (2192 m) liegt ganz abgeschieden am oberen Ende des Val Susanau, rings von hohem Bergen umgeben. Die Alm war von einem italienisch sprechenden Ehepaar bewohnt. Ihre Aufgabe war es, die im Talkessel weit verstreuten Schafe zu hüten. Unser Besuch war Ihnen bereits einige Tage zuvor angekündigt worden. So wurden wir von Ihnen sehr freundlich aufgenommen.

Die Pferde kamen auf eine große eingezäunte Almwiese. Wir waren etwas ängstlich, da auf dieser etliche sehr große Felsbrocken lagen. Den Pferden war das jedoch egal, sie sprangen zu unserem Erstaunen zwischen den Brocken munter herum – und das nach einer solchen Anstrengung. Unser Abendbrot, bestehend aus Bündner Salzis und Bergkäse, nahmen wir auf der Weide ein, während wir dem Treiben der Pferde zusahen. Was kann da schöner sein? Übernachtet haben wir in unseren Schlafsäcken im Stall, die Pferde draußen auf der Koppel.

 

 

Unsere Pferde auf der Almwiese

 

 

Gemütliches Beisammensein auf der Alm Funtauna

6. August 2002: Von der Alm Funtauna nach Samedan

6:00 aufstehen, die Alm lag ganz in den Wolken, in der Nacht hatte es zu regnen angefangen. Heute ging es zur Abwechselung bergab durchs Val Susanua ins oberengadiner Tal (1426 m). Satteln im Regen, doch wir hatten bisher großes Wetterglück, während in Deutschland die große Flut anrollte und vielerorts "Land unter" war. Wir kamen gut voran, den Pferden schien es zu gefallen, dass die Luft wieder dicker wurde. Nach zweistündigem bergab-Reiten (800 Höhemeter) kamen wir im Oberengadin an.

In Schanf gab es dann erst mal Frühstück im Gasthaus. Draußen hatte es sich inzwischen eingeregnet. Nach weiteren gemütlichem 4 Stundenritt durchs Inntal kamen wir in Samedan im Reitstall von Mario Reisigel an. Nach einer im Gebirge – fern von aller Zivilisation – verbrachten Nacht, wurde der ‑ wie immer ‑  pünktlich am Ziel wartende Tross­kommandant freudig begrüßt. Auch die Pferde witterten schon das hart verdiente Futter. Die nächsten 3 Tage blieben dann die Pferde im gleichen Stall.

7. August 2002: Ruhetag in Samedan

Ruhetag für die Pferde (und Reiter!). Wir nutzten den Tag, um uns St. Moritz und Umgebung anzusehen.

8. August 2002: Ausflug zum Morteratschgletscher

Ein wunderschöner Sonnentag mit strahlend blauem Himmel begrüßte uns am Morgen. An diesem Tag wollten wir unseren Pferden den Morteratschgletscher (2083) zeigen. Der Weg dorthin führte uns durchs Val Bernina, beidseitig umgeben von Dreitausendern. Wir ritten still, keiner wollte die schöne Stimmung durch Geplapper stören. Abwechslungsreich führte der Weg unmerklich ansteigend, mal durch Wiesen, mal durch Erlenwälder. Nach einer Biegung sah man dann plötzlich den Piz Bernina, ein eindrucksvoller Berg, der einzigste Viertausender Graubündens (und zugleich der Ostalpen). Unter seinem Gipfel erstreckt sich der 6 km lange Eisstrom des Morteratschgletschers. Natürlich waren wir nicht die einzigsten, die von dieser spektakulären Kulisse angezogen wurden. Es gelang uns aber, in größerem Abstand zu italienischen, japanischen und englischen Touristen, 1 Stunde allein in Richtung Gletscherzunge zu reiten. Interessant waren die Schilder, die den Rückgang des Gletschers markieren. Im letzten Jahrhundert hat sich der Gletscher um 2 km zurückgezogen.

Steiniger Weg zum Gletscher

 

Die letzten 200 Meter waren dann sehr felsig, doch unsere Pferde waren inzwischen so trittsicher, dass ihnen dies kein Problem bereitete. Je näher wir kamen, zeigte der Gletscher immer mehr von seiner Pracht. Aus einem Gletschertor floss ein Eisbach. Dort haben wir auch das Foto von unserer Gruppe aufgenommen .

 

 

 

 

Andrea , Elke, Steffi und Sabine am Gletscher

 

Nach kurzer Rast machten wir uns auf den Rückweg, diesmal auf den Sandflächen am Eisbach entlang, um die Felsen zu meiden. Wie sich sofort zeigte, war dies ein Fehler: Mein Max versackte plötzlich bis zum Bauch im „Treibsand“. In dem Moment schossen mir tausend Gedanken durch den Kopf. Ich sah meinen Max in Gurten an einem Hubschrauber hängend gen Tal fliegen. Ich stieg sofort ab. Max machte zwei Sprünge, bis er wieder festen Boden unter den Hufen hatte. Uff, mal wieder Glück gehabt!

 

Rückweg vom Morteratschgletsch

 

 

Zurück in Samedan am Stall erzählten wir Mario, was uns passiert war. Der grinste und sagte, dass ihm das auch schon mit einer Gruppe Reitern passiert wäre. Der Boden sei dort nach einem Meter wieder fest.

9. August 2002: Von Samedan über den Albulapass nach Bergün

Eine lange, anstrengende Tour lag vor uns, der Albulapass mit 2315 m und von dort aus herunter nach Bergün 1367 m. Punkt 8 Uhr waren die Pferde gesattelt und wir starteten zunächst entlang des Inns nach La Punt. Dort verließen wir das Inntal in Richtung Albulapass. Außer der Straße gab es nur einen Wanderweg, für den wir uns entschieden. Der Weg schlängelte sich in Serpentinen steil den Berg herauf, unsere Rösser waren ja nun schon einiges gewöhnt. Fleißig setzten sie einen Huf vor den anderen. Die erste Steigung war bald geschafft und weiter ging’s durch ein mit Felsen und Steinen durchsetztes Gelände. An manchen Stellen wusste man nicht mehr, wo der Wanderweg weitergehen sollte, er teilte sich in viele kleine Trampelpfade auf, die sich um Felsen schlängelten. Ab und zu sah man mal eine Markierung in Weiß/Rot/Weiß auf einem Felsblock. Teilweise mussten unsere Pferde wie die Gämsen von einem Fels zum anderen springen. Die Wolken hingen tief und öffneten nach kurzer Zeit auch ihre Schleusen. Um 13 Uhr hatten wir endlich den Pass erreicht. Dort gab zum Glück ein Gasthaus, in dem wir für ein knappes Stündchen einkehrten.

 

 

Gruppenfoto am Albulapass (2315 m üM.)

Steffi, Sepp, Sabine, Tobias, Andrea und Elke

 

Unsere Pferde hatten wir ordentlich an einem Parkplatz angebunden und Sie mit Kraftfutter versorgt. Nun standen wir vor einem Problem: Der einzigste Wanderweg runter nach Bergün war gesperrt. Rohrverlegungen, erzählten uns Wanderer, die den Weg hinaufkamen. Wir fragten sie, ob es möglich sei, mit den Pferden durchzukommen, da wir nicht 4 Stunden der Strasse entlang nach Bergün reiten wollten. Eng wäre es manchmal, sagten sie. Na ja, wir entschieden uns für den Wanderweg. Unsere Vierbeiner führten wir den anfangs noch gut begehbaren Weg hinunter. Nach 3 km fing die Baustelle an, der Weg war in der Mitte 1,50 m tief ausgebaggert. Rechts uns links führte nur noch ein schmaler Pfad vorbei. Über groben, lockeren Schotter führten wir unsere Pferde am Hindernis vorbei. Danach wurde der Weg zum Glück wieder breiter. Er war aber sehr steinig. Ein Wunder, dass noch keines unserer Pferde ein Eisen verloren hatte. Mir schmerzten schon meine Zehen vom Bergabgehen. Steffi erwähnte, dass sie vor unserer Tour im Reiseführer gelesen hätte, es gäbe eine Steilstufe auf dem Weg vom Albulapass nach Bergün. Keiner dachte mehr daran und plötzlich war sie da. Über einen Felsen hinweg ging es ca. 3 m hinunter. Es gab keine Möglichkeit rechts oder links vorbeizukommen. Wir hatten keine Wahl, wir mussten dort hinunter. Einer mach dem anderen, Elke ging mit Ashley zu Fuß voran, dann mein Max mit mir, Sabine mit Seppi, Steffi mit Leopold. Jeder versuchte, irgendwo am Fels Halt zu finden. Mit kleinen Schritten kraxelten die Pferde hinunter. Doch was war mit Sepp und seiner Tinka? Sie standen als letzte noch oben auf dem Fels. Der Sepp ist doch so schlecht zu Fuß, die Tinka würde ihm beim Führen vermutlich nach unten ziehen. Wir riefen Sepp zu, er solle doch Tinka auslassen und alleine hinunterklettern lassen. Gesagt getan, Sepp ließ seine Stute los und mit drei Sprüngen war sie unten. Sepp kam vorsichtig nach. Wir kontrollierten sofort die Fesseln unserer Pferde, doch keine Schramme war zu sehen. Toll, alles war gut gelaufen. Für diesen Tag hatten wir genug "Adrenalinaus­schüttungen". Wir beschlossen, den Rest des Weges auf der „sicheren“ Strasse weiter zu gehen. Ausgelaugt kamen wir nach 4 Stunden in Bergün an. Unsere Pferde haben diese Nacht angebunden in einem Ständer verbracht. Manchmal frage ich mich wer da mehr „leidet“, das Pferd oder der Reiter, der sich um sein Ross Sorgen macht.

 

10. August 2002: Von Bergün nach Tiefencastel

Alles ging gut über Nacht mit den Pferden im Ständer. Sie kamen mir sogar richtig ausgeschlafen vor. Es sollte ein ruhiger Tag werden, da die Strecke nicht so lang und bergig war. Ich rechnete mit 4 Stunden von Bergün (1367 m) nach Tiefencastel (851 m). Wir sattelten im Regen ‑ man gewöhnt sich daran ‑ und ritten gemütlich wie immer los. In 2 Stunden hatten wir auch schon die Hälfte der Strecke geschafft. In Filsur gab es eine ausgedehnte Mittagspause beim einem Italiener, die Pferde auf dem Parkplatz. Nach 2 Stunden ritten wir weiter auf einem schönen Weg an dem Flüsschen Albula entlang in Richtung Tiefencastel. Wir näherten uns einem Taleinschnitt zwischen Surava und Tiefencastel durch den Straße und Bahnlinie führen und auch der einzigste Wanderweg. Anfangs sah er noch harmlos aus. Er führte direkt an einen steilen Berghang entlang, von dem immer wieder kleine Bergbäche herabstürzten, verstärkt durch den vielen Regen. Über diese Bäche führten schmale Stege teils mit Geländer, teils ohne. Sie waren sehr glitschig und gerade so breit, dass unsere Pferde darüber gehen konnten. Da wir an diesem Tag schon über einige solcher Stege gegangen waren, machten wir uns auch diesmal keine Sorgen. Stets ging einer nach dem anderen hinüber. Langsam wurde der Weg zum schmalen Pfad. Auf der einen Seite war der Berg, auf der anderen ging es ca. 100m steil hinab ins Tal. Da kam wieder ein Steg in Sicht. Ich ging mit Max voraus, hinter mir kam Sabine mit Seppi. Plötzlich hörte ich ein lautes Krachen, eine Latte des Stegs war gebrochen und Seppi hing mit den Hinterbeinen in der Luft. Alles ging blitzschnell, mit einem großen Sprung versuchte Seppi wieder hoch zu kommen, da brach eine weitere Latte. Seppi sprang noch einmal und schaffte es rechzeitig auf den Weg zu kommen. Da standen wir nun, Sabine und ich auf der einen Seite, Elke, Steffi und Sepp auf der anderen, getrennt durch den Steg mit gebrochenen Latten, über den kein weiteres Pferd mehr gehen konnte. Ich rief den anderen zu, sie sollten umkehren und den Pfad ca. 3 km zurückgehen, dort gab es die Möglichkeit wieder auf die Straße zu kommen. Nur, das Umdrehen mit den Pferden auf dem 1 m breiten Pfad war sehr schwierig. Sie konnten sich aber auf der Stelle um die eigene Achse drehen. Sabine und ich jedoch mussten nun den "kriminellen Pfad" weiterziehen. Der Rückweg war ja abgeschnitten. Mein "Adrenalin­spiegel" war mal wieder ganz oben, denn es kamen noch 3 weitere Stege, die zu überqueren waren. Sie waren zwar etwas stabiler, dafür hatten sie aber Treppenstufen am Anfang und am Ende. Die Pferde meisterten die heikle Situation bravourös. Endlich, im Tal angekommen, versuchte ich Sepp über Handy anzurufen, doch leider gab es keinen Empfang. Sabine und ich erreichten dann schon bald Tiefencastel und den Stall. Eine Stunde später kamen dann auch Sepp, Steffi und Elke an. Die Freude, sich wieder zu sehen war so groß, als hätte man sich 1 Jahr nicht gesehen. Am Abend im Hotel gab es dann mal wieder viel Gesprächsstoff. Irgendwann fielen wir alle todmüde ins Bett. Draußen hatte es sich inzwischen eingeregnet. Man konnte schon ahnen, was der nächste Tag bringen würde.

11. August 2002: Von Tiefencastel nach Lenzerheide

Dauerregen und kein Berg in Sicht. Es sollte unser kürzester Reittag mit nur 3 Stunden werden: Von Tiefencastel (851 m) nach Lenzerheide (1473 m). Abritt um 10 Uhr, es regnete in Strömen. Ich beschloss den kürzesten Wanderweg zu nehmen. Wir ritten im ruhigem Schritt, denn jede Bewegung zuviel ließ das Wasser durch den kleinsten Spalt an den Körper rinnen. Nach 1 Stunde Reiten auf angenehmem Wanderweg zeigte uns eine Tafel den weiteren Wegverlauf nach rechts, in ein uneinsehbares, dicht zugewachsenes Gelände, das bergauf führte. Wir stimmten ab, ob wir den längeren Weg der Straße entlang oder den kürzeren durchs Gestrüpp nehmen sollten. Wegen des starken Regens entschieden wir uns für den kürzeren. Freiwillige voraus, Elke ging mit Ashley als erste. Wir erkannten, dass schon lange kein Wanderer auf dem Weg gegangen sein konnte. Er erwies sich als Urwaldspfad und das mitten in den Bergen. Hinzu kam, dass der Weg glitschig und aufgeweicht war. Elke mit Ashley an der Spitze machte unter schwersten Bedingungen den Nachreitern den Weg frei. Teilsweise konnte man nicht erkennen, ob es nach Rechts oder Links ging. Unsere Vierbeiner kämpften sich durch den Wildwuchs wie Rasenmäher. Oben angekommen, mussten wir unsere Kleider erst einmal von Schlingpflanzen und anderen Gewächs befreien. Pünktlich nach 3 Stunden kamen wir dann in Lenzerheide an. Wie immer stand auch der Anhänger mit unserem Gepäck schon vor Ort. Nachdem die Pferde versorgt waren, verbrachten wir den verregneten Nachmittag im wohltemperierten Hallenbad von Lenzerheide. Nach einem gemütlichen Abend im Hotel ging’s schon bald ab in die Heia.

12. August 2002: Von Lenzerheide nach Chur

Am vorletzten Reittag hatten wir einen Termin mit einem Schweizer Amtstierarzt, der uns um 17 Uhr am Reitstall in Chur erwartete. Unsere Rösser mussten nun für die Rückreise über die Grenze erneut auf ihren Gesundheitszustand untersucht werden. Also durfte uns heute keine Panne passieren, wir mussten pünktlich sein. Wie verließen Lenzerheide (1473 m) um 9 Uhr, ritten in Richtung Chur, das schon wieder im Rheintal (565 m) liegt. Ohne besondere Vorkommnisse erreichten wir Chur in 7 Stunden mit Mittagsrast in Passug.

Der Amtierarzt kam pünktlich zum Termin und inspizierte unsere Pferde sehr genau. Sie waren im besten Zustand und voller Saft und Kraft und bekamen ihre EU‑Gesundheits­zeugnisse für die Rückreise ausgestellt. Sie verbrachten die Nacht in einer noblen Reitanlage in schönen Boxen. Wir wohnten in einem Hotel in der Churer Altstadt.

13. August 2002: Von Chur zurück nach Maienfeld

Letzter Reittag: Zum Abschied lugte sogar die Sonne über die Bergspitzen. Wir genossen die warmen Strahlen und ritten den Rhein entlang in Richtung Maienfeld. Mittagsrast in Zisers, dann weiter nach Maienfeld, das wir nach 5 Stunden erreichten. Unsere Rundreise war nun geschlossen.

Am Abend feierten wir Abschied in einem gemütlichen Schweizer Gasthaus. Wir stießen an auf unsere Pferde und auf uns selbst. Ein besonderes Prosit galt unserem Trossführer. Sepp hielt noch eine packende Abschlussrede in der er unter anderem verkündete, dass er froh sei noch am Leben zu sein. Es wäre wohl sein letzter Ritt in den Alpen gewesen. Für uns alle war dies wohl der eindruckvollste und abenteuerlichste Ritt aller Zeiten - ein unvergessliches Erlebnis. Zum Schluss noch ein großes Lob für unsere furchtlosen, tritt­sicheren Vierbeiner, die unverletzt und durchtrainiert am 14. August auf die Heimreise gingen.

Mit Pferden in die Schweiz ® Formalitäten

Die gemachten Angaben zu den nötigen Formalitäten beschreiben den von uns gewählten Weg durch die Bürokratie. Wenn man selbst einen solchen Grenzübertritt mit Pferden plant sollte man sich zuvor sehr genau bei den zuständigen Ämtern erkundigen.

 

Den ersten Lernschritt den wir gemacht haben war, dass Pferde bei einem solchen Grenzübertritt zweierlei sind: Ware und Tier.

 

Das Pferd als Ware:

 

Hier wurde uns von der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern empfohlen ein Carnet A.T.A. zu beantragen. Ein solches erleichtert die Formalitäten beim Grenzübertritt erheblich. Man kann natürlichen auch ohne Carnet einreisen, muss aber dann beim Zoll eine Kaution hinterlegen.  Wir wollten aber möglichst viele der Formalitäten ins Vorfeld verlagern um unangenehme Überraschung beim Grenzübertritt zu vermeiden.

 

Das Carnet A.T.A ist ein internationales Zollpassierscheinheft. Es soll das vorübergehende Verbringen von Waren ins Ausland erleichtern, und zwar dadurch, dass bei seiner Benutzung die Zahlung oder Hinterlegung von Zöllen und sonstigen Einfuhrabgaben entfällt und keine besondere Zollanmeldung in den Einfuhrländern auszufertigen sind. Die Industrie- und Handelskammer übernimmt die Bürgschaft für die Entrichtung der Abgaben, für solche Fälle, in denen Carnets A.T.A nicht ordnungsgemäß erledigt werden. Das damit verbundene Risiko hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) wiederum bei der Hermes Kreditversicherungs-AG abgesichert. Diese Absicherung gilt aber erst wenn der Antragsteller einen Kautionsversicherungsvertrag abgeschlossen hat. Für den Abschluss einer Kautionsversicherung wird eine „Bankbürgschaft aus erstes Anfordern“ zu Gunsten der Hermes Kreditversicherungs benötigt.  Für den Fall, dass es sich bei der „Ware“ um Pferde mit Zubehör handelt wird die Höhe der Bankbürgschaft folgendermaßen errechnet:

·        Pferde über 145 cm Stockmaß: 2.500 €

·        Pferde unter 145 cm Stockmaß: 1.400 €

·        30% vom Zeitwert der Sättel mit Zubehör

 

Um Gebühren zu sparen haben wir nur einen „Antrag auf Ausstellung eines Carnet A.T.A und auf Abschluss einer Kautionsversicherung“ für alle 5 Pferde zusammen gestellt. Diesem Antrag haben wir folgende Unterlagen hinzugefügt:

·        Die Bankbürgschaft

·        Das ausgefüllte Carnet:  Im Carnet selbst mussten wir den von uns geschätzten Zeitwert unserer Pferde, Sättel und Zubehör angegeben. Unter „Beabsichtigte Verwendung der Waren“ haben wir „Sport/Freizeit“ eingetragen.

·        2 unterschriebene Kopien des Personalausweises des Antragstellers

·        je zwei Kopien von den Pferdepässen der 5 Pferde

 

Nachdem uns die Industrie- und Handelskammer das ausgestellte Carnet zurückgeschickt hat, musste einige Tage vor der Abfahrt eine „Nähmlichkeitssicherung“ durch ein deutsches Binnenzollamt erfolgen. D.h. ein Zollbeamter überprüft die Richtigkeit der im Carnet gemachten Angaben zur „Ware“. Das kann unter Umständen bedeuten, dass man mit seinem Pferd beim Zollamt „vorreiten“ muss. In unserem Fall war es aber einfacher. Nachdem ich beim zuständigen Zollamt einen „Antrag auf Durchführung einer kostenpflichtigen Amthandlung“ gestellt hatte, kam ein Zollbeamter bei unserem Stall zur Begutachtung der Pferde vorbei. Weiterhin war wichtig, dass man sich die Einfuhr und auch die Wiederausfuhr der Pferde von den inn- und ausländischen Zollstellen bescheinigen lässt. Nach Abschluss der Reise haben wir das Carnet der IHK zurückgeschickt, woraufhin wir unsere Bankbürgschaft zurückerhalten haben.

 

Das Pferd als Tier:

 

Hier benötigten wir ein EU-Gesundheitszeugnis „Equiden“ für jedes Pferd. Die Vordrucke dieses Formulars (GS500) kann man beim DVH-Fachverlag Vieh und Fleisch, Adenauerallee 176, 53113 Bonn bestellen. Möglichst kurz vor Abreise sollte das Gesundheitszeugnis vom zuständigen Amtstierarzt ausstellt werden.  Die Gebühren für den Besuch des Amtstierarztes sind je nach Länge der Anfahrt und Region und recht unterschiedlich. Das Gesundheitszeugnis hat eine Gültigkeitsdauer von nur 10 Tagen. Da unser Ritt zwei Tage länger dauerte, mussten wir uns von einem Schweizer Amts-& Export-Kontrolltierazt aus Chur  erneut eine Gesundheitsbescheinigung für die Rückreise  ausstellen lassen.

 

 

Text und Fotos von Andrea von Kienlin              

 

(Andrea.von.Kienlin_at_t-online.de)